„Eine Initiative für eine neue Kultur des Sterbens“

Keine Unterstützung beim Suizid. Keine Freigabe der so genannten "Tötung auf Verlangen". Darüber waren sich Ruhrbischof Overbeck, Politiker, Mediziner, Juristen und Ethiker bei der Podiumksdiskussion zum Thema "Sterbehilfe" in der Katholischen Akademie "Die Wolfsburg" in den Grundzügen einig.



Breite Diskussion in der „Wolfsburg“ über Neuregelung der Sterbehilfe

Die aktuelle Sterbehilfe-Debatte ist weniger eine Frage der Gesetzgebung als „eine Initiative für eine neue Kultur des Sterbens“. Auf dieses Fazit brachte am Mittwochabend, 19. November, Dr. Michael Schlagheck, Direktor der Katholischen Akademie „Die Wolfsburg“, die Debatte in seinem Haus zur Frage einer Neuregelung der Sterbehilfe in Deutschland. Drei Stunden lang hatte zuvor Ruhrbischof Dr. Franz-Josef Overbeck mit Politikern, Medizinern, Juristen und Ethikern über das Thema diskutiert. In den Grundzügen waren sich dabei alle einig: Niemand redete einer Aufweichung der aktuellen Regelungen das Wort – etwa hin zu einer Ausweitung der Unterstützung beim Suizid oder gar einer Freigabe der sogenannten Tötung auf Verlangen. Alle auf dem Podium plädierten für einen Ausbau der palliativmedizinischen Versorgung. Deutlich trat Bischof Overbeck einer möglichen Liberalisierung der Sterbehilfe entgegen: „Wir haben für den Schutz des Lebens einzutreten.“ Das Leben könne nach christlicher Vorstellung nur von dem genommen werden, der es gegeben hat – also von Gott.

Trotz der Einmütigkeit auf dem Podium entspann sich ein nachdenkliches und facettenreiches Gespräch, das die Vielschichtigkeit des Themas Sterbehilfe deutlich machte. „Diese intensive Debatte zeigt, dass sich die Frage nach dem, was der Mensch ist, was ihn ausmacht, nicht verdrängen lässt“, sagte Overbeck auch mit Blick auf die Bundestagssitzung zum Thema in der vergangenen Woche. Christen seien in dieser Debatte „im guten Sinne des Wortes Spezialisten“.


Ärzteschaft im Fokus

Vielfach stand in der „Wolfsburg“ die Ärzteschaft im Fokus der Diskussion. Eindringlich warnte der Moraltheologe Professor Dr. Eberhard Schockenhoff davor, Unterstützung bei Selbsttötungen „als feste ärztliche Dienstleistung“ zu etablieren. „Wenn alle in der Gesellschaft wissen, dass dies eine akzeptierte Option ist, müssen sich schwerkranke Menschen rechtfertigen, warum sie diesen Weg nicht gehen, wo er doch angeblich so schmerzlindernd und kostensparend ist.“ Palliativmediziner berichteten von „sehr wenigen Ausnahmen“, in denen schwerkranke Patienten trotz Angeboten der Palliativmedizin nachhaltig um Hilfe bei der Selbsttötung baten. „Wir dürfen aber nicht die Ausnahme zur Regel machen“, mahnte Professor Dr. Hans Georg Nehen, Sprecher des Rates für Gesundheit und Medizinethik im Bistum Essen und Direktor des Essener Geriatrie-Zentrums Haus Berge. Bislang fehle es indes in den unterschiedlichen Berufsordnungen der Ärzteschaft an einheitlichen Standards hinsichtlich der Frage, wie Ärzte dem Wunsch nach einem assistierten Suizid begegnen sollen. „Das ist schon in Nordrhein-Westfalen nicht einheitlich geregelt“, berichtete die SPD-Politikerin Kerstin Griese. Die rheinische Berufsordnung verbiete Ärzten den assistierten Suizid, „in Westfalen heißt es lediglich: du sollst nicht‘“. Doch dies „müssen die Ärzte regeln, da können wir als Politik nicht hineinregieren“. Vom Strafrecht her sei Hilfe beim Suizid – anders als die Tötung auf Verlangen – nicht verboten, erläuterte der Bundesrichter Professor Andreas Jurgeleit.


„Ein natürliches Sterben gibt es nicht“

„Noch vor zwei, drei Generationen war der plötzliche Tod am meisten gefürchtet“, verwies Nehen auf die seit dem Mittelalter geprägte Angst vor einem unvorbereiteten Sterben ohne die Sakramente der Kirche. „Heute ist der plötzliche Tod der Erwünschte, das Sterben als Teil des Lebens soll nicht mehr erlebt werden.“

Der Palliativmediziner Professor Dr. Christof Müller-Busch betonte indes: „Ein natürliches Sterben gibt es nicht mehr, in der modernen Medizin ist Sterben immer ein Entscheidungsprozess“. Er warb deshalb für eine engagierte Debatte darüber, in welcher Umgebung und unter welchen Umständen die rund 870.000 Menschen, die in Deutschland jährlich sterben, in Zukunft aus dem irdischen Leben scheiden sollen.

In dieser Debatte „müssen wir noch stärker auf die sozialen Aspekte des Sterbens schauen“, betonte Bischof Overbeck. Schließlich sei auch ein selbstbestimmtes Sterben immer eingebettet in den Kontakt des Sterbenden zu seinen Ärzten, Angehörigen, Pflegern. Schon aus diesem Grund – aber auch mit Blick auf die Kosten – solle beim dringend erforderlichen Ausbau der Palliativmedizin der Fokus auf ambulanten Angeboten liegen, forderte nicht nur der Bischof. Grünen-Politiker Volker Beck schloss sich dem an und warb für ein französisches Modell, bei dem pflegende Angehörige auf eine ambulante Komplettversorgung aus einer Hand zurückgreifen könnten.

In rund einem Jahr wird der Bundestag über eine Neuregelung der Sterbehilfe entscheiden. Zuvor wird im Frühjahr eine Delegation aus dem Ruhrbistum gemeinsam mit Bischof Overbeck in Berlin mit Parlamentariern über das Thema diskutieren. „Auch wenn am Ende nur ein paar Zeilen Gesetz dabei herauskommen, hat sich die Debatte schon deshalb gelohnt, weil wieder mehr über den Tod gesprochen wird“, sagte SPD-Politikerin Griese. (tr)

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