„Größere Dimension als die Herstellung der Einheit“

Deutsche Bischöfe diskutieren bei der Herbstvollversammlung über die Flüchtlingskrise. Themen sind zudem der Dialogprozess, die Familiensynode im Vatikan und das Zweite Vatikanische Konzil.


Kardinal Reinhard Marx: "Europa steht am Scheideweg"

Die Aufnahme und Integration von Flüchtlingen und die Sicherung des Friedens in den Herkunftsstaaten sind nach Überzeugung der katholischen Kirche die größten Herausforderungen seit Jahrzehnten. Die Bewältigung der Flüchtlingskrise habe eine größere Dimension als die Herstellung der deutschen Einheit, sagte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, am Montag zu Beginn der Herbstvollversammlung der Bischofskonferenz in Fulda. Notwendig sei „eine stärkere europäische Union mit stärkerer Solidarität untereinander. Europa steht am Scheideweg.“

Marx appellierte an die Politik, den Bürgern ehrlich zu sagen, vor welchen Herausforderungen das Land stehe. Weder die politischen Umstände im Nahen und Mittleren Osten noch die extrem ungleichen Lebensverhältnisse zwischen armen und reichen Ländern seien von heute auf morgen zu überwinden.

Zum Auftakt des Bischofstreffens betonte Marx, das politische Handeln in Europa müsse zuallererst darauf gerichtet sein, das Leben der Flüchtlinge zu retten. „Jeder, der sich der europäischen Grenze nähert, muss sicher sein, dass er keine Angst um Leib und Leben haben muss“, sagte der Münchner Erzbischof. Zugleich müsse jeder Flüchtling Anspruch auf ein faires rechtliches Verfahren und eine menschenwürdige Behandlung haben.

Zuvor hatte sich der Vorsitzende der Bischofskonferenz im rbb-inforadio gegen eine Verschärfung des Asylrechts gewandt. Man könne zwar über sichere Herkunftsländer und Ähnliches nachdenken. Der Umgang mit Flüchtlingen dürfe aber auf keinen Fall „unter das Niveau fallen, was wir in Deutschland unter Asylrecht verstehen“.

Zur Rolle der Kirche sagte Marx, sie engagiere sich schon lange in der Flüchtlingshilfe - etwa über die Beratungsdienste der Caritas. Diözesen, Gemeinden und Ordensgemeinschaften seien aber zu verstärkter Hilfe auch bei der langfristigen Integration bereit. Dabei gebe es eine gute Zusammenarbeit mit den evangelischen Kirchen und dem Staat.

Die Kirche werde weiterhin sehr gründlich prüfen, was sie an Räumen zur Verfügung stellen könne, um Flüchtlinge unterzubringen, versprach der Bischofskonferenz-Vorsitzende. Vor Ort gebe es schon sehr viel konkrete Hilfe „in großartiger Weise“.

Marx würdigte noch einmal die Enzyklika „Laudato si“ von Papst Franziskus. Sie mache darauf aufmerksam, dass Fluchtbewegungen auch mit Klimaveränderungen und Fragen des Lebensstils zusammenhingen. Die Kirche müsse sich deshalb die Frage stellen, welches Fortschrittsmodell weltweit nachhaltig gelebt werden könne.

Die Bischöfe warben bei der Vollversammlung für einen „kämpferischen Einsatz für Flüchtlinge“. Ein nahe des Fuldaer Doms aufgehängtes großes Transparent zitiert Papst Franziskus mit der auf die Flüchtlinge bezogenen Forderung, das Evangelium verlange von Christen, „Nächste der Geringsten und Verlassenen zu sein. Die christliche Hoffnung ist kämpferisch.“

Neben dem Flüchtlingsthema, dem die Bischöfe auf ihrer Tagesordnung kurzfristig noch einmal mehr Raum gegeben haben, werden die Bischöfe in Fulda an das Zweite Vatikanische Konzil erinnern, das vor 50 Jahren endete. Man wolle deutlich machen, was für ein „Schub“ das Konzil damals für die Kirche war und dieses Gedenken „fruchtbar machen für die Gegenwart“. Außerdem stehen bis Donnerstag, 24. September, ein Rückblick auf den bundesweiten Dialogprozess in der Kirche, Neuerungen in der Pastoral sowie die Vorbereitung der Weltbischofssynode zum Thema Familie auf der Agenda.

Zum Abschluss der Vollversammlung treffen sich die Bischöfe am Donnerstagabend zur traditionellen Bonifatius-Vesper im Fuldaer Dom. Ruhrbischof Dr. Franz-Josef Overbeck wird dann die Predigt halten. (kna/tr)

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