„Wir werden unsere Lebensgewohnheit ändern“

Flüchtlinge und Helfer feiern Caritas-Sonntag in Bochum. Bischof Dr. Franz-Josef Overbeck sieht Deutschland und Europa angesichts der Flüchtlingskrise vor großen Veränderungen.

"Gott heißt alle willkommen!"

„Deutschland und Europa müssen sich auf eine ganz neue Zeit einstellen. Unser Wohlstand und die Weise, in Frieden zu leben, werden sich ändern. So wie die Flüchtlinge ihre Lebensgewohnheiten ändern müssen, werden auch wir es tun müssen“, sagte Ruhrbischof Dr. Franz-Josef Overbeck bei einer Messe mit Flüchtlingen und ehrenamtlichen Helfern am Caritas-Sonntag in Bochum.

"Gott heißt alle willkommen!“ unter diesem Motto hatte die Caritas Flüchtlinge und ehrenamtliche Helfer nach Bochum eingeladen. Rund 400 Personen aus vielen Nationen kamen zu einem internationalen Gottesdienst und Begegnungsfest in die Harpener Kirche Heilig Geist. Spontan dabei war auch Yohann Petros Mouche, Erzbischof der syrisch-katholischen Kirche von Mossul (Nordirak).

Das Motto des Caritas-Sonntages bedeute „Öffnung und Gastfreundschaft zu leben, keine Angst zu haben, bescheidener zu werden, Abstand zu nehmen vom gewohnten Wohlstand und zu einer Gesellschaft des Teilens zu werden“, sagte Bischof Overbeck in seiner Predigt. Denn durch die Flüchtlingsströme würden die „gewohnten Grenzen unseres Miteinanders gesprengt.“ Das erzeuge auch Angst und Unsicherheit. „Hier ist Geduld gefordert, aber auch Klarheit.“ Angesichts von Anschlägen auf Flüchtlingsheime stellte Overbeck klar: „Wir Christen sind der tiefsten Überzeugung, dass Gott jeden Menschen liebt und will. Bei Gott ist kein Mensch unerwünscht. Diese Botschaft gehört zum Kern des Evangeliums.“ Und weiter: „Alle, die kommen, sind unsere Schwestern und Brüder, weil sie von Gott her willkommen sind. Sie beschenken uns, wie wir sie.“ Deswegen dürften Flüchtlinge bei uns nicht „auf Grenzen, Zäune, Schlepper und Lager stoßen.“ Deutschland und Europa müssten zeigen, „dass wir nicht für Abschottung und Selbstbehauptung stehen, sondern Räume der Freundschaft für Menschen auf der Suche nach Sicherheit, Verlässlichkeit, Rechtsstaatlichkeit und Wohlstand schaffen wollen und werden.“

In Deutschland, in den Pfarreien und Gemeinden seien Flüchtlinge willkommen. „Der überwiegende Anteil unserer Bevölkerung denkt und handelt so. Es gibt aber auch die, die Ängste haben, die neu lernen müssen, was es heißt, offen zu sein und dafür viel Zeit brauchen.“ Eine Willkommenskultur müsse geübt werden. „Sie bedeutet, Europa und Deutschland von den Rändern her zu denken. Wir müssen von den Grenzen her lernen zu denken, zu glauben und zu handeln.“ Bischof Overbeck dankte allen, die sich für Flüchtlinge einsetzen: „Ich bin sehr bewegt von den vielen Zeichen, die Ausdruck einer Willkommenskultur sind, die es in unserem Land, unter uns Christen, in unserer Kirche schon vielfältig gibt.“ Die Welt ändere sich angesichts der Flüchtlingsströme. „Dem nicht mit Müdigkeit, Angstlichkeit und Mauern zu begegnen, sondern mit einem offenen Herzen und freigiebigen Händen, einem beweglichen Geist und einem tiefen Glauben, der uns über die Grenzen aller Religionen, Konfessionen und Weltanschauungen hinweg mit dem Guten in allen Menschen verbindet, ist meine Bitte an uns alle“, schloss der Bischof. 

Viele syrische Flüchtlinge sind zum Caritas-Sonntag gekommen. Ihnen ist die Erleichterung anzusehen, aber auch die Sorge um die, die sie zurücklassen mussten. So erzählt die 42-jährige Schneiderin Nyason Sudo aus Aleppo, wie sie mit einem Sohn 25 Tage von Syrien nach Bochum geflohen ist. Die Fluchtroute führte sie über die Türkei, Griechenland, Mazedonien, Serbien über Ungarn und Österreich nach Deutschland. Sie ist erschöpft und vermisst ihren Ehemann und zwei Söhne, die sie in der Türkei zurücklassen musste, weil das Geld für die Schleuser nicht mehr reichte. Trotzdem ist sie dankbar, in Deutschland zu sein. Ähnlich geht es dem 27-jährigen Ebrahim Makdees, auch er Syrer aus Aleppo, der vor dem IS-Terror geflohen ist. Er berichtet, dass gerade viele junge Männer das Land verlassen, weil sie nicht in der Assad-Armee dienen wollen oder aus Angst vor dem IS. Makdees ist Christ und hat als diplomierter Maschinenbau-Ingenieur gearbeitet, bevor er Syrien verlassen musste. Er musste seine drei Schwestern und Eltern in Aleppo zurücklassen. „Das Schlimmste“, sagt er, „ist das Nichtstun in einer zum städtischen Übergangswohnheim umfunktionierten Turnhalle in Bochum.“ Ebrahim will schnell Deutsch lernen, eine Arbeit finden und seine Familie nach Deutschland holen. Eine Perspektive in Syrien sieht er nicht.

Dankbar sind die Flüchtlinge auch für die Hilfe, die sie in Deutschland bekommen. Auch die Flüchtlingshelfer der Bochumer Gemeinde Heilig Geist. Viele Katholikinnen, teils von der Caritas, helfen in der benachbarten Kleiderkammer. Jeden Dienstag nehmen sie Spenden an, sortieren sie und geben sie gemeinsam mit anderen Helfern aus. „Es gibt einen sehr großen Andrang von Flüchtlingen“, berichtet Bernhard Dittrich. Der 72-Jährige aus der Bochumer Gemeinde leitete 25 Jahre lang die Caritas-Dienststelle in der ehemaligen zentralen Landesstelle für Aussiedler und Flüchtlinge Unna-Maßen. Jetzt betreut er ehrenamtlich Flüchtlinge in regelmäßigen Caritas-Sprechstunden im Gemeindeheim. Zwei ehrenamtliche Dolmetscher helfen bei der Übersetzung. Dittrich hält engen Draht zur benachbarten Flüchtlings-Unterkunft, in der rund 150 Menschen Schutz finden. „Wir tun hier, was wir können“, sagt Dittrich. Vermittlung zur Rechtsberatung, mal eine kleine finanzielle Unterstützung. „Erst kürzlich kam eine Schwangere, die im Oktober ihr Baby bekommt. Wir konnten ihr über den Skf Hilfe besorgen“, so Dittrich.

Warum er sich engagiert? „Ich möchte Brücken bauen, damit die Leute hier vernünftige Wege gehen können, das ist mir ein Herzensanliegen“, sagt er und sieht zu Charles herüber. Der ältere Mann ist vor acht Monaten aus Ghana geflohen und hat über Dittrich Anschluss in der Gemeinde gefunden. Hinter Charles hängen bunte Bilder. Gemalt von Flüchtlingen wie ihm. Begleitet von der Künsterlin Lisa Lyskava, die den Malworkshop auch ehrenamtlich macht. Auch Petra Kipper ist gekommen. Die Frau ist seit Dezember unermüdlich im Einsatz für die Bewohner der Harpener Flüchtlingsunterkunft. Dass Hilfe für Flüchtlinge immer ein Gemeinschaftswerk ist, machten unter anderem der neu ernannte Superinterndent der Evangelischen Kirche in Bochum, Dr. Gerald Hagmann, die erste Bürgermeistern Erika Stahl und der ehemalige Oberbürgermeister Otto Stüber deutlich.

Mit dem diesjährigen Caritas-Sonntag im Bistum Essen will die katholische Kirche auf die Situation von Flüchtlingen hinweisen und das wichtige Engagement am Beispiel der Stadt Bochum würdigen. Gottesdienst und Begegnungsfest hatten der Caritas-Diözesanverband, der Caritasverband für Bochum und Wattenscheid, die katholische Stadtkirche, die Pfarrei Liebfrauen mit der Gemeinde Heilig Geist und der örtlichen Caritas-Gruppe gemeinsam organisiert. (mik)

Die Predigt von Bischof Franz-Josef Overbeck finden Sie hier.

Pressestelle Bistum Essen

Zwölfling 16
45127 Essen