Vizekanzler versucht, Streit um Transitzonen zu entschärfen

In der Akademie "Die Wolfsburg" diskutierte Bischof Dr. Franz-Josef Overbeck mit Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) über die Folgen des Flüchtlingszustroms. Neben der aktuellen Politik ging es dabei auch um grundsätzliche Werte-Fragen.

Minister Gabriel diskutierte in der "Wolfsburg" mit Bischof Overbeck 

Kurz vor dem nächsten Flüchtlingsgipfel am Donnerstag in Berlin hat sich Vizekanzler Sigmar Gabrielhttps://sigmar-gabriel.de/ (SPD) am Dienstagabend in Mülheim darum bemüht, den Streit um Transitzonen und Einreisezentren zu entschärfen. Bei einem Podiumsgespräch mit Ruhrbischof Dr. Franz-Josef Overbeck lehnte der Parteichef zwar erneut den Unions-Vorschlag für Transitzonen ab, gleichzeitig betonte er aber, beim Streit mit der Union gehe es „lediglich um 2,4 Prozent der Flüchtlinge“, die überwiegend vom Westbalkan stammten und deshalb keine realistische Bleibeperspektive hätten. Er warb erneut für den SPD-Vorschlag, alle Flüchtlinge in bestehenden Aufnahmeeinrichtungen zu registrieren und die Registrierung in diesen Einreisezentren verbindlich mit der Möglichkeit eines Asylantrags und entsprechenden Sozialleistungen zu verknüpfen. Bischof Overbeck wandte sich entschieden gegen den Unions-Vorschlag der Transitzonen, in denen Flüchtlinge vor ihrer Einreise zunächst interniert werden sollen. Er lehnte aber auch das Konzept der Einreisezentren ab. Overbeck warnte vor „Zündeleien in den Parteipolitiken“ und forderte, konsequent das bestehende deutsche Asylrecht anzuwenden. Gabriel betonte: „Wir müssen die richtigen Fragen stellen“, - etwa wie 400.000 Menschen ohne Aufenthaltsstatus zur Rückkehr in ihre Heimat bewegt oder Menschen aus Afghanistan oder Pakistan von einer Flucht nach Europa abgehalten werden könnten.

„Bessere Ordnung der Flüchtlingsströme“

Unter der Überschrift „Herausforderung verstehen. Zukunft gestalten“ hatte der Rat für Wirtschaft und Soziales im Bistum Essen zu der prominent besetzten Diskussionsrunde eingeladen. Vor den rund 350 Zuhörern in der Katholischen Akademie „Die Wolfsburg“ warb Gabriel für eine „bessere Ordnung der Flüchtlingsströme“, indem die Außengrenzen der Europäischen Union besser gesichert, gleichzeitig aber Flüchtlinge über große Kontingente in die EU gelassen würden. Nicht die große Zahl der Flüchtlinge sei derzeit das Problem, „sondern die Geschwindigkeit, mit der sie zu uns kommen“, betonte der Minister. Auch Overbeck verlangte: „Wir müssen das international regeln.“ Diskussionen über neue Grenzen und Zäune innerhalb Europas seien „unglaublich“, so der Bischof. Gerade die Deutschen sollten „nicht von Mauerbau sprechen“.

„Wir haben nicht alles auf einmal im Griff“

Der Vizekanzler gab sich in der „Wolfsburg“ ausgesprochen offen. „Die Wahrheit ist: Wir haben natürlich nicht alles auf einmal im Griff“, sagte er mit Blick auf den Umgang der Bundesregierung mit der Flüchtlingskrise. Dies sei „eine Jahrzehntsaufgabe, keine für zwölf Monate. Auch wir müssen erst lernen, damit umzugehen.“ Wichtig sei, den Bürgern „ehrlich zu sagen, dass das Zeit braucht“. Mit Blick auf die vielfache Hetze im Internet, die zuletzt auch Ruhrbischof Overbeck getroffen hatte, forderte Gabriel eine strikte strafrechtliche Verfolgung: „Es gibt keine grenzenlose Meinungsfreiheit. Hier muss von den Zuständigen auch ermittelt werden.“ Dies gelte aber nicht nur für das Internet. „Es muss wieder deutlich werden, dass es inakzeptabel ist, mit solchen Sprüchen durch die Gegend zu rennen“, so der Vizekanzler.

Stärkeres Engagement der internationalen Gemeinschaft

Gemeinsam forderten Gabriel und Overbeck ein stärkeres Engagement der internationalen Gemeinschaft, um die Länder rund um die Krisen-herde im Nahen Osten bei der Versorgung von Flüchtlingen zu unterstützen. „Wir im Westen sind das Desaster in Syrien mindestens zur Hälfte mit Schuld“, sagte Bischof Overbeck mit Blick auf frühere Waffenlieferungen und politische Allianzen.

Vernunft als Instrument der Verständigung

Auf der Suche nach gemeinsamen Werten warb Overbeck für die Vernunft als Instrument der Verständigung innerhalb der deutschen Gesellschaft, aber auch, „um mit den Migranten ins Gespräch zu kommen.“ Über die Religion funktioniere dieser Dialog nicht unbedingt, so Overbeck. Gabriel sprach von einem „sympathischen Ansatz: Die Aufklärung als Instrument für ein gutes Zusammenleben“. In der aktuellen Situation gehe es bei den Menschen in Deutschland jedoch zunächst darum, auf Ängste zu reagieren. „Wir müssen erst einmal Menschen ernst nehmen, die Angst haben“, sagte Gabriel. Auch Overbeck forderte, „Gefühlen und Ängsten Raum zu geben. Aber dann muss es eine Perspektive geben“, - für Overbeck die Perspektive der Vernunft, „um die Gesellschaft zusammenzuhalten.“ (tr)

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