NAH: Lukas 15,11-32: Das Gleichnis vom verlorenen Sohn

Auf der Schwelle: Rembrandt, Heimkehr des verlorenen Sohnes (1636)

Auf der Schwelle

Rembrandt, Heimkehr des verlorenen Sohns

Das Thema „Der verlorene Sohn“ lässt Rembrandt nicht los, es bleibt eines seiner Lieblingsthemen, das er in etlichen Zeichnungen und Radierungen bearbeitet. Im Jahr seines „Selbstporträts“ als „verlorener Sohn“ 1636 stellt Rembrandt in einer Radierung auch die „Heimkehr des verlorenen Sohnes“ dar. Er lässt die Begegnung von Sohn und Vater auf der Schwelle des Hauses spielen; das ist wiedermal „gegen den Text“ des Evangeliums, wo es heißt: „Der Vater sah den Sohn schon von weitem kommen, ... er lief dem Sohn entgegen“ (Lk 15,20).

Die Schwelle ist hier deutlich der Ort zwischen „draußen“ und „drinnen“, zwischen der „Welt“ und dem „Vaterhaus“; der völlig heruntergekommene Sohn kniet genau an der Grenze, sein Stock zeigt noch auffällig an, wo er her kommt. Haltung und Gestik des Vaters sind anrührend menschlich - der weite Schritt zeigt noch die Eile an, die linke Hand stützt und will dem Sohn aufhelfen, die rechte liegt beruhigend - zärtlich auf dessen Schultern. Zugleich ist da mehr als „nur“ Menschlichkeit: würde der sich herabbeugende Vater aufrichten, wäre er von monumentaler Übergröße. Und Rembrandt hat den bewegten und bewegenden Moment der Begegnung eingefasst, „verewigt“ durch eine sehr strenge Komposition: Die Vater-Sohn-Gruppe ist in ein annähernd gleichseitiges Dreieck eingeschrieben; das ist sowohl die „stabilste“ geometrische Figur wie auch darüber hinaus ein Symbol des Göttlichen.

Unser letztes Bild ist wirklich ein „ letztes Bild“: In seinen letzten Lebensmonaten ist Rembrandt - er starb 1669 - daran gegangen, die „Heimkehr des verlorenen Sohnes“ in einem für ihn ungewöhnlich großen Format (262 x 206 cm) zu malen. Er wird mit diesem, seinem „letzten Wort“ gar nicht mehr fertig. Allein dies ist schon bewegend und anrührend: Ein ganzes Malerleben lang beschäftigt den Künstler diese Geschichte, in gewissem Sinne identifiziert er sich mit ihr. Und dann am Schluss dieser Schluss! Dieser ungewöhnliche biographische Ernst des Werkes macht fast ein wenig ehrfürchtig. Hier fasst ein alter Mann seine Lebenserfahrungen mit allen Höhen und Tiefen zusammen. Und er spricht von seiner Hoffnung über dieses Leben hinaus. Das entspricht der Auslegungstradition des Gleichnisses; die Geschichte vom verlorenen Sohn wird als Bild des menschlichen Lebensweges gesehen und die „Heimkehr“ als Heimkehr zu Gott am Ende des Lebens, als Eintritt in das „ewige Leben“ gedeutet. Ein Kunstwerk als persönliches Bekenntnis!

Der Maler sagt: Der Tod, dessen Nähe ich spüre, wird mich zu Gott führen, ich werde seine Liebe und Güte erfahren, er wird mich aufnehmen mit meiner ganzen elenden Geschichte. Durch das ungewöhnliche Format sind die Figuren im Bild annähernd lebensgroß. Der Sohn kniet als Rückenfigur am linken Bildrand, so dass es für den Betrachter leicht ist, sich mit ihr zu identifizieren, sozusagen in sie hineinzuschlüpfen. Ein Bild, eine Geschichte, die wir nacherleben, „nachfühlen“ können. Das halte ich mit für das Bemerkenswerteste an diesem Bild: es kommt alles auf das „Fühlen“ an. Zu „sehen“ gibt es für Vater und Sohn nichts. Der Sohn kuschelt sich in das Dunkel des Vaterschoßes, der greise Vater hat die Augenlider gesenkt und wirkt wie ein Blinder, der den Sohn ertastet. Diese Konzentration auf das Tasten, Fühlen und Spüren ist für einen Maler, dem es in seinem ganzen Leben um das Sehen und das Sichtbare gehen musste, eine ungewöhnliche Sache: sozusagen die Einsicht, dass es Dimensionen und Schichten der Wirklichkeit gibt, die dem Augensinn verschlossen bleiben und dennoch wirklich sind. Ähnlich wie in der Radierung von 1636 gibt es auch hier bei aller „Menschlichkeit“ der Szene Hinweise auf ein „Mehr“. Sehr einfach kommt dies in der fast demonstrativ ausgezogenen Sandale des Sohnes ins Bild, die an Ex 3,5 - Mose am brennenden Dornbusch - erinnert: „Leg deine Schuhe ab; denn der Ort, wo du stehst, ist heiliger Boden“. Der Vater mit dem roten Umhang erscheint wie eine Schutzmantelmadonna; der Umriss des Mantels kongruiert in der Komposition mit dem Torbogen im Hintergrund. Dadurch wird die an sich flüchtige Gebärde verfestigt, bekommt etwas Endgültiges, Ewiges. Dies ist jetzt das Glück, das nicht mehr beeinträchtigt werden kann durch die Angst vor dem Verlust. Das entspricht ja auch zum Teil einer menschlichen Erfahrung: dass etwas, was verloren und wieder gefunden wurde, nicht mehr verloren werden kann.

Übrigens spielt auch hier - wie in der Radierung von 1636 - die Szene auf der Schwelle, am Eingang. Das signalisiert: Hier endet die Geschichte nicht, hier beginnt sie neu. Das Beste kommt noch: das Fest! Wird der „große Bruder“ am Fest teilnehmen? Ihn haben wir bis jetzt nie erwähnt, auch die Künstler haben ihn - wie die ganze Auslegungstradition – sehr vernachlässigt. Dabei ist die Geschichte um seinetwillen erzählt! Jesus spricht hier zu den „Pharisäern und Schriftgelehrten“, die seine Zuwendung zu den „Zöllnern und Sündern“ nicht verstehen können (vgl. Lk 15,1f.). Häufig haben die Maler den „älteren Bruder“ in der Schlussszene des Gleichnisses gezeigt, wie er sich von Vater und Bruder brüsk abwendet. In Rembrandts Bild sehen wir in der Gruppe rechts einen nachdenklichen Mann stehen, der durch denselben roten Mantel wie der Vater ausgezeichnet ist. Ist das vielleicht der „Ältere“? Ist er bewegt? Läßt er sich von der Liebe des Vaters beeindrucken und bewegen, am „Fest der Versöhnung“ teilzunehmen?

aus: Herbert Fendrich, Menschengeschichten - Gottesgeschichten. Bilder zum Gleichnis vom verlorenen Sohn

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