Jörg Armbruster: „ISIS ist ein Kind des Irak“

Die Organisation "Islamischer Staat" hat nach Ansicht des ARD-Journalisten Jörg Armbruster "neue Qualitäten" in den Terrorismus im Nahen Osten gebracht. ISIS sei ein "Kind des Irak" - betonte der langjährige Nahost-Korrespondent bei den 15. Mülheimer Nahost-Gesprächen in der Katholischen Akademie "Die Wolfsburg".



ARD-Journalist sprach bei den 15. Mülheimer Nahostgesprächen in der "Wolfsburg"

Die Entwicklung der Terrororganisation ISIS, die derzeit vor allem im Irak und in Syrien aktiv ist, stand bei den 15. Mülheimer Nahostgesprächen am Sonntag im Fokus des Vortrags des ARD-Journalisten Jörg Armbruster. Angesichts der langen Terrorgeschichte im Nahen Osten habe „ISIS neue Qualitäten in diesen Terrorismus hineingebracht“, sagte Armbruster in der Katholischen Akademie „Die Wolfsburg“ – nicht nur hinsichtlich ihrer militärischen Stärke, sondern auch mit Blick auf ihre wirtschaftliche Kraft und auf die Nutzung des Internets als Propaganda-Medium.

2013 war der langjährige ARD-Nahost-Korrespondent in Syrien angeschossen und schwer verletzt worden war. Bis heute befasst sich der 66-Jährige journalistisch mit der Region. In Mülheim berichtete er unter anderem von Dreharbeiten mit jesidischen Frauen, die von den ISIS-Milizen im Irak verschleppt worden waren und entkommen konnten. Mittlerweile gebe es in der im Sommer von ISIS besetzten irakischen Stadt Mossul „ein oder mehrere Häuser, in denen eine einzige Ware angeboten wird: Frauen“, schilderte Armbruster. Diese würden dort den ISIS-Kämpfern angeboten – ihr Verbleib sei mehr als ungewiss.

Sunniten wieder in die irakische Politik und Gesellschaft integrieren

„ISIS ist ein Kind des Irak“, sagte Armbruster in seiner politischen Analyse der Situation. Er verwies auf den früheren irakischen Ministerpräsidenten Nuri Al-Maliki. Der Schiit habe zwar bereits im vergangenen Jahr US-Präsident Obama vor der sich verschärfenden Terror-Situation im Irak gewarnt. Dass Obama damals noch nicht eingegriffen habe, sei indes nachvollziehbar, so Armbruster – schließlich sei Maliki angesichts der von ihm forcierten Diskriminierung der Sunniten selbst „ein unsicherer Kandidat in Sachen Terrorbekämpfung“. Dies wiederum habe wesentlich zur großen Schlagraft der ISIS im Irak beigetragen. Entscheidend sei die Verbündung der ISIS mit sunnitischen Milizen in den westirakischen Anbar-Provinzen gewesen, erläuterte Armbruster – und nannte auch gleich einen Weg, politisch gegen die Terroristen vorzugehen: „Durch den Amtsverzicht von Maliki im Juli kann es nun gelingen, Teile der Sunniten zurückzuholen“ und wieder in die irakische Politik und Gesellschaft zu integrieren, um dann die verbleibenden radikalen Kräfte nachhaltig zu schwächen. Eine „wichtige Geste“ sei zuletzt die Ernennung eines sunnitischen Verteidigungsministers gewesen.

Doch nicht nur Maliki sei ein „Vater der ISIS“, beschrieb der frühere Moderator der ARD-Sendung „Weltspiegel“. Neben den USA, die bei ihrem Einmarsch 2003 die irakische Armee entlassen und so eine Basis für die sunnitischen Milizen gelegt hätten, habe auch die Türkei als „wichtiges Transit- und Rückzugsland“ ihren Anteil am Erstarken der Milizen. Möglicherweise wolle die Türkei ISIS im Kampf gegen die kurdische PKK nutzen – in jedem Fall wolle sie aber verhindern, dass jenseits der Grenze in Nord-Syrien ein kurdischer Rückzugsraum entsteht, womöglich eine autonome Region wie im benachbarten Nord-Irak.

Weiterer Exodus der Christen aus dem Irak befürchtet

Dort wiederum kennt sich Rudi Löffelsend bestens aus, der Irak-Beauftragte der Caritas im Bistum Essen und einer der Organisatoren der Aktion „Bekennen.Beten.Spenden“, mit der sich Caritas und Ruhrbistum gegen eine Verfolgung der Christen im Nahen Osten und für die Flüchtlinge im Irak und in Deutschland einsetzen. Angesichts des ISIS-Terrors sei die Kurden-Provinz im Nordirak derzeit „der Schutzraum für Christen in der Region“, so Löffelsend. Noch lebten im Irak von ehemals rund 1,5 Millionen Christen „vielleicht noch 200.000 oder 300.000 – und diese ganz überwiegend in Kurdistan“. Doch Löffelsend fürchtet, „dass es einen weiteren Exodus der Christen aus dem Irak geben wird, vor allem der zuletzt nach Kurdistan geflohenen Christen“. Dies bedeute eine weitere Schwächung der christlichen Kultur im Irak. Von den geflohenen Christen sehe kaum jemand eine Rückkehr-Möglichkeit in die Heimat – und in Kurdistan selbst sei die Situation angesichts der immensen Flüchtlingszahl mehr als schwierig. „Die Kurden sind sehr Flucht-erfahren und haben ein großes Herz für Flüchtlinge“, sagte Löffelsend. Aber angesichts von insgesamt rund 1,8 Millionen Flüchtlingen bei einer Einwohnerzahl von 4,5 Millionen sei eine optimale Versorgung kaum zu organisieren. „Wir in Deutschland sind ja schon mit 200.000 Flüchtlingen überfordert“, so der Caritas-Fachmann. Vor allem die Unterbringung der Flüchtlinge, die oft immer noch in Parks, Rohbauten und unter Brücken schliefen, sei mit Blick auf den nahen Winter das Wichtigste. Dafür setzten sich vor Ort auch die Caritas und ihre Partner ein. (tr)

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