„Humanisierung der Arbeit wird mit Füßen getreten“

Angesichts der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise forderte der erste Vorsitzende der IG Metall, Berthold Huber, auf dem "Sozialpolitischen Aschermittwoch der Kirchen" in Essen einen "echten Neuanfang". Statt Arbeitslosigkeit zu verwalten, gelte es, die Zukunft der Arbeit zu gestalten.

IG Metall-Vorsitzender Huber sprach beim Sozialpolitischen Aschermittwoch der Kirchen in Essen

Dass der Mensch „als Ebenbild Gottes“ im Mittelpunkt aller wirtschaftlichen und politischen Aktivitäten stehen müsse, bekräftigte Ruhrbischof Dr. Franz-Josef Overbeck beim „Sozialpolitischen Aschermittwoch der Kirchen“ in Essen. „Denn durch Arbeit entfalten Menschen ihre Persönlichkeit und partizipieren am wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Leben“, sagte Overbeck in der Evangelischen Kirche am Katernberg. Wenn der arbeitende Mensch „ausschließlich instrumentell als bloßes Erwerbsmittel und nicht als freie und verantwortliche Person“ behandelt werde, dann werde er um seine Würde gebracht. „Die Gestaltung einer menschengerechten Wirtschaftsordnung und Arbeitswelt ist das gemeinsame Anliegen von Kirchen und Gewerkschaften“, betonte Bischof Overbeck.

In seinem Vortrag zum Thema „Der Faktor Arbeit in der Industriegesellschaft der Zukunft“ beklagte der Vorsitzende der IG Metall, Berthold Huber, das weiterhin ungebremste „närrische Treiben an den Finanz- und Rohstoffmärkten“. Die Marktradikalen würden einfach weitermachen. „Sie kennen keine Einsicht, halten an ihren Glaubenssätzen fest, blockieren oder unterlaufen notwendige Veränderungen“, so Huber. Der Aschermittwoch im kirchlichen Sinne stehe dafür, „dass Altes vergehen muss, damit Neues entstehen kann.“ Das sei wegweisend, denn angesichts der tiefen Krise sei „ein echter Neuanfang“ gefragt, „und keine Variante des Bestehenden“.

Die dringlichste Herausforderung für die Arbeitsgesellschaft sieht der IG Metall-Vorsitzende in der Erhaltung der Industriebetriebe und Wertschöpfungsketten, der Sicherung von Ausbildungs- und Arbeitsplätze und in der Bewahrung von Einkommen und Tarifstandards. „Denn ohne die Industrie und ihre Schrittmacherfunktion für industrienahe Dienstleistungen hat die Arbeitsgesellschaft keine Zukunft“, so Huber. Erfolg sei nur dann möglich, wenn alle, die öffentliche Hand, Arbeitgeber und Arbeitnehmer, ihren Beitrag leisteten. Das heißt für Huber: Weiterführung der Kurzarbeit unter den derzeitigen Bedingungen, Teillohnausgleich bei Arbeitszeitverkürzungen, Übernahmegarantien für Auszubildende und „die konditionierte Bereitstellung von Kapital an im Kern gesunde unternehmen“. Es müsse zunächst gelingen, den „freien Fall“ zu verhindern, um – statt Arbeitslosigkeit zu verwalten – „Arbeit heute und morgen noch gestalten zu können“. Vom Glauben, dass die Märkte alles selber regeln könnten, müsse man sich verabschieden. Stattdessen sprach sich Huber für eine aktive Industriepolitik aus, um Strukturwandel ohne soziale und ökologische Verwerfungen bewältigen zu können.


Druck auf Arbeitnehmer steigt

Die Krise habe eine Gesellschaft getroffen, deren Fundament brüchig sei. Das zeige sich vor allem am Arbeitsmarkt, habe dort ihre Ursachen. Die „atypische“ Beschäftigung sei branchenübergreifend auf dem Vormarsch.  Zwischen 1998 und 2008 habe der Anstieg 46 Prozent betragen. Bei über 50 Prozent bedeute atypische Beschäftigung Niedriglohn, in der Leiharbeitsbranche seien es sogar 67 Prozent, bei Frauen 77 Prozent. Huber
wies darauf hin, dass 43 Prozent der Niedriglohnempfänger Normalbeschäftigte seien. Das so genannte Normalarbeitsverhältnis sei kein Garant mehr für „Gute Arbeit“. Huber: „Die berechtigte Hoffnung vieler Menschen, dass ‚Können‘, ‚Anstrengung‘ und ‚Kompetenz‘ zentrale Voraussetzungen für einen guten Arbeitsplatz sind, wird millionenfach mit Füßen getreten.“ Das Projekt „Humanisierung der Arbeit“ werde mit Füßen getreten. Der IG Metall-Vorsitzende beklagte den zunehmenden Druck auf Arbeitsnehmer und belastende Formen der Arbeitszeit. „Arbeit greift ins Privatleben, frisst es regelrecht auf“, so Huber. Das mache auf Dauer krank, körperlich und seelisch. „Ein gutes Leben kann es ohne gute Arbeit nicht geben“, betonte Huber. Gute Arbeit sei machbar und müsse gestaltet werden. Was machbar sei und den Menschen diene, dürfe nicht vom Zufall oder guten Willen Einzelner abhängig sein.

Auch eine neue Arbeitsmarktpolitik mahnte Berthold Huber an. Hier nannte er eine gesetzliche Rahmenordnung, „die eine weitere Verrohung des Arbeitsmarktes unterbindet“. Das heißt für den IG Metall-Vorsitzenden: „Wirksame Regulierung der Leiharbeit, armutsfeste Lohnuntergrenzen, Befristung der Befristungen, Eindämmung von Mini-Jobs und mindestens den Erhalt des bestehenden Kündigungsschutzes".  Weiter nannte Huber den Umbau der Arbeitslosenversicherung zu einer „echten Beschäftigungsversicherung“ und Ermöglichung eines flexiblen Ausstiegs aus dem Erwerbsleben für besonders belastete Berufsgruppen. „Wir müssen aus der Krise eines lernen: Die zerstörerische Hegemonie der marktradikalen Wirtschaftsordnung legt einen eklatanten Mangel an Demokratie offen. Und einen solchen bekämpft man am besten durch mehr Mitbestimmung“, betonte Huber. Stärker als bisher müssten die „Beschäftigten mit ihren Nöten, Wünschen und Ideen“ bei der Ausgestaltung der Arbeitswelt eingebunden werden. Hier rief Huber die Kirchen zum Schulterschluss, zu einer „Fahrgemeinschaft“ auf: „Ich bin der festen Überzeugung, dass uns angesichts der Entwicklung der letzten Jahre mehr verbindet als trennt.“ Denn eine Wirtschaftsordnung, die dem Menschen nicht diene, „läuft  zentralen Grundsätzen der Kirchen und Gewerkschaften zuwider“. (do)

Ansprache von Ruhrbischof Dr. Franz-Josef Overbeck

Rede von Berthold Huber, 1. Vorsitzender der IG Metall

Pressestelle Bistum Essen

Zwölfling 16
45127 Essen