"Ethische Perspektiven eröffnen"

Die Bundeswehr steht vor dem großen Wandel. Die Reform sieht eine drastische Verkleinerung der Truppe vor. Auch die Militärseelsorge muss dieser Veränderung begegnen. In einem domradio.de-Interview spricht Overbeck über die Auswirkungen.

Militärbischof Overbeck spricht im domradio.de-Interview über die Reformen in der Bundeswehr und die Auswirkungen für die Militärseelsorge.

domradio.de: Wird die Militärseelsorge bei einer kleiner werdenden Truppe und den drastischen Einsparungen eigentlich auch hinterfragt?

Bischof Franz-Josef Overbeck: Die Militärseelsorge wird auf diese Strukturveränderungen zu antworten haben. An sich und als solche hinterfragt wird sie gar nicht, weil sie hoch wertgeschätzt ist. Wenn die Pläne in der nächsten Woche öffentlich sind, werden wir zu schauen haben, was das für die Struktur unserer Seelsorge bedeutet.

domradio.de: Wie soll denn das Profil der Kirche unter den Soldaten in Zukunft aussehen - darüber beraten Sie ja derzeit mit den Militärseelsorgern in Berlin?

Overbeck: Es gibt verschiedene Schwerpunkte, die zu beachten sind. Einer der wichtigsten und vordringlichten Punkte wird sein, eine gute Seelsorge für die Soldatinnen und Soldaten im Einsatz, sprich in den Auslandseinsätzen sicherzustellen. Eine zweite Priorität wird vor allem sein, auch die Familienangehörigen in Deutschland, in der Heimat zu begleiten, aber auch eben auch für die Soldaten/-innen, die hier stationiert sind, zur Verfügung zu stehen. Und ein dritter Punkt ist die Erteilung des in ökumenischer Verantwortung wahrgenommenen seelsorgerischen lebenskundlichen Unterrichts.

domradio.de: Die Bundeswehr soll kleiner werden, es ist zu erwarten, dass dadurch auch noch einmal der Anteil der Christen bei der Truppe stark verringert wird. Muss die Ausrichtung der Militärseelsorge dadurch verändert werden?

Overbeck: Das entspricht dem doppelten Auftrag der Kirche, die einmal den Auftrag hat, für die Katholiken dazusein und ihnen die Seelsorge angedeihen zu lassen - das werden wir weiter mit großer Selbstverständlichkeit tun. Und das andere ist, einen Verantwortungsauftrag - gerade in Hinblick auf Ethos und Moral - für die Gesamtgesellschaft wahrzunehmen, der auch unserem Selbstverständnis entspricht. Ich erlebe in weiten Teilen - egal wieviel oder wie wenig Katholiken es vor Ort sind (das ist sehr unterschiedlich) - eine höchste Wertschätzung der katholischen Kirche und ihrer Seelsorge.

domradio.de: Sie haben vor kurzem die Bundeswehr in Afghanistan besucht - inwiefern spielen Ihre Eindrücke von dort nun auch eine Rolle bei der Ausrichtung der zukünftigen Militärseelsorge?

Overbeck: Die Zukunft der Militärseelsorge wird sich sehr intensiv mit den friedensethischen Perspektiven und der Frage: Wie kann mehr Gerechtigkeit in der Weltgesellschaft hergestellt werden? beschäftigen müssen. Und welchen Beitrag wir im Kleinen, im täglichen Alltag dazu leisten können. Die Eindrücke, die wir und ich beim Besuch der Truppe in Afghanistan gesammelt haben, waren sehr von kriegähnlichen Zuständen geprägt, und das bedeutet in dieser wirklich schwierigen Lage allen, die darum bitten, die danach fragen, den seelsorgerisch nötigen Beistand zukommen zu lassen. Und gleichzeitig ethische Perspektiven zu eröffnen, die für alle von Belang sind.

domradio.de: Bleiben wir bei Afghanistan: Am Rande der Konferenz haben Sie gestern den Truppenabzug aus Afghanistan begrüßt - der soll ja schon Ende des Jahres langsam beginnen. Ihr evangelischer Kollege Militärbischof Martin Dutzmann sieht dies kritisch und spricht von einer Gefährdung des Friedens im Land - sind Sie da uneins mit Ihrem evangelischen Kollegen?

Overbeck: Nein, es geht darum, dass der katholisch Militärbischof zu bewerten hat: Was geschieht eigentlich, wenn politisch entscheiden wird, dass die Truppe geht. Das ist eine politische Entscheidung, die nicht in den Kompetenzbereich des katholischen Militärbischofs fällt, und dabei habe ich immer darauf Wert gelegt zu sagen: Es ist nach bestem Wissen und Gewissen und den Möglichkeiten, die wir haben, sicherzustellen, dass kein Bürgerkrieg folgt, dass die Errungenschaften in Hinblick auf die Rechte der Frau, die Bildung der Kinder und Jugendlichen nicht wieder geschmälert werden. Und das zivile Kräfte gestärkt werden, die für Sicherheit, Ruhe und Ordnung und auch für Verlässlichkeit sorgen. Bei meinem Besuch in Afghanistan hab ich sehr deutlich gesehen, wie groß die Anstrengungen in diesem Bereich schon sind, sprich: hinsichtlich der zu bewältigenden zivilgesellschaftlichen Aufgaben. Da besteht unser Auftrag weiterhin, alles andere ist aber eine politisch-militärische Entscheidung, die dort zu fällen ist, wo die Verantwortung liegt, nämlich in der Politik. (dr)

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