Essener Gespräche: Verhältnis von Staat und Kirchen

Zum 50. Mal treffen sich am 9. und 10. März Experten aus Wissenschaft, Politik, Kirche und Verwaltung zu den renommierten "Essener Gesprächen" in der Akademie "Die Wolfsburg". In diesem Jahr steht der Vertrauensverlust von Staat und Kirchen im Mittelpunkt der Fachtagung.

50. Fachtagung mit Experten aus Wissenschaft, Politik, Kirche und Verwaltung. Festakt zum Jubiläum.

Zum 50. Mal treffen sich in diesem Jahr namhafte Experten aus Wissenschaft, Politik, Kirche und Verwaltung, um bei den Essener Gesprächen über das besondere Verhältnis von Staat und Kirche zu diskutieren. Die Fachtagung am Montag, 9., und Dienstag, 10. März, in der Katholischen Akademie „Die Wolfsburg“ in Mülheim schaut in diesem Jahr auf ein wachsendes Desinteresse und eine sinkende Beteiligung, mit der sowohl die Kirchen bei ihren Mitgliedern als auch der Staat bei seinen Bürgern konfrontiert sind. Wie kann verlorenes Vertrauen zurückgewonnen werden? lautet die zentrale Frage, zu der in diesem Jahr neben Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck Bundestagspräsident Norbert Lammert, der frühere Richter am Bundesverfassungsgericht, Udo di Fabio, ZDF-Chefredakteur Peter Frey, der badische Landesbischof Jochen Cornelius-Bundschuh und der Bielefelder Soziologe Franz-Xaver Kaufmann referieren. Der Heidelberger Verfassungs- und Steuerrechtler Paul Kirchhof leitet die Tagung.

Festakt zum Jubiläum

Bereits am Sonntag, 8. März, schaut das Bistum mit einem abendlichen Festakt im Essener Hotel Franz mit geladenen Gästen auf die bald 50-jährige Geschichte der Essener Gespräche zurück. Nach einem Gottesdienst mit Bischof Overbeck und dem Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Manfred Rekowski, moderieren Generalvikar Klaus Pfeffer und Rechtsanwalt Burkhard Kämper fünf Gesprächsrunden zu den bislang 50 Essener Gesprächen. Gäste auf dem Podium sind Prälat Karl Jüsten, Leiter des Katholischen Büros Berlin, der religionspolitische Sprecher der grünen Bundestagsfraktion Volker Beck, die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts, Ingrid Schmitt, und die beiden Parlamentarischen Staatssekretäre Christian Lange und Günter Krings.

Interview mit Burkhard Kämper zu 50 Essener Gesprächen

In drei Filmen beschreiben die Gründerväter Dr. Heiner Marré, Dr. Hans Maier und Dr. Paul Hoffacker die Geschichte der Essener Gespräche.
Im Interview erläutert zudem der Verantwortliche für die Essener Gespräche im Ruhrbistum, Rechtsanwalt Burkhard Kämper, die Bedeutung dieser Fachtagung.

Herr Dr. Kämper, als die Essener Gespräche 1966 ins Leben gerufen wurden, war die Katholische Kirche vom gerade beendeten Konzil und die deutsche Gesellschaft von der aufziehenden 68er-Bewegung geprägt. Welches Erfolgsgeheimnis steckt hinter den Essener Gesprächen, dass sie auch 2015 noch derart populär sind?

Burkhard Kämper: Die damaligen Initiatoren der Essener Gespräche hatten zunächst einmal die Weitsicht, in einer Zeit des Aufbruchs in Staat, Kirche und Gesellschaft mit einer neuen Gesprächsreihe auf einen bestehenden Bedarf zu reagieren. Dass sich die Gesprächs- und die daraus entstandene Schriftenreihe in der Fachwelt so schnell etablieren und so lange halten würde, konnte damals natürlich niemand ahnen. Ein Erfolgsrezept sehe ich darin, dass von Beginn an immer ein gutes Gespür für die Auswahl der Themen und Referenten bestand. So haben wir immer wieder sowohl hochaktuelle Themen wie das kirchliche Arbeitsrecht, die Kirchenfinanzierung oder den Religionsunterricht, aber auch sehr grundsätzliche Fragestellungen wie die Religionsfreiheit, das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen oder den Schutz des menschlichen Lebens behandelt. Bundesweit, aber auch international geradezu einzigartig ist zudem der überkonfessionelle und interdisziplinäre Charakter dieses Zusammentreffens namhafter Wissenschaftler mit Praktikern aus der Justiz sowie aus staatlicher und kirchlicher Verwaltung.

Die Essener Gespräche sind Fachtagungen – und wollen dennoch in die Gesellschaft hinein wirken. Wo konnte die Veranstaltungsreihe besonders nachhaltige Akzente setzen?

Kämper: Zunächst einmal sind auf den Essener Gesprächen durch die zahlreichen Kontakte und Netzwerke viele Ideen entstanden, die dann oft im Nachgang realisiert wurden: beispielsweise die Gründung des Instituts für Staatskirchenrecht der Diözesen Deutschlands Anfang der 1970er Jahre  und die Herausgabe des demnächst in dritter Auflage erscheinenden Handbuchs des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland. Aber auch inhaltlich haben die Essener Gespräche ihre Spuren hinterlassen: So werden unsere Tagungsbände etwa regelmäßig von den obersten deutschen Gerichten bis hin zum Bundesverfassungsgericht herangezogen, etwa in Fragen zum kirchlichen Arbeitsrecht. Nach dem Fall der Mauer und des Eisernen Vorhangs konnten wir zudem die Übernahme unserer bewährten Staat-Kirche-Ordnung in den neuen Bundesländern unterstützen. Und durch die Einbeziehung von Teilnehmern und Referenten aus Osteuropa konnten die Essener Gespräche auch dort einen Beitrag dazu leisten, den Kirchen nach einer Zeit der Unterdrückung wieder zu einem angemessenen Platz in den Verfassungen und Lebenswirklichkeiten dieser Staaten zu verhelfen.

Das Verhältnis von Staat und Kirche wird weiter auf der gesellschaftspolitischen Agenda bleiben. Bei welchen Themen sehen Sie hier in den kommenden Jahren besonderen Gesprächsbedarf?

Kämper: Unser Grundgesetz mit seinen religionsrechtlichen Rahmenbedingungen ist zu Zeiten starker Volkskirchen entstanden, nun müssen wir uns der Frage nach der Zukunftsfähigkeit dieses Systems stellen. Nur wenn wir als Kirche zu einer maßvollen Anpassung des rechtlichen Rahmens an die gesellschaftliche Realität bereit sind, wird es uns möglich sein, diesen Prozess aktiv mitzugestalten – ansonsten werden die Parlamente und Gerichte dies ohne uns tun. Konkret werden sich die Debatten bei den Essener Gesprächen in den kommenden Jahren sicherlich weiter um die Frage drehen, wie unsere Verfassungsordnung auf die Herausforderungen einer immer stärkeren religiösen Pluralisierung reagiert. Daneben wird es für die Kirchen immer wichtiger, dem nahezu unaufhaltsam scheinenden technischen Fortschritt entgegenzutreten und immer wieder die Frage nach der Grenze zwischen dem technisch Machbaren und dem ethisch Verantwortbaren aufzuwerfen. (tr)

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