Die Wolfsburg diskutiert über neue Regeln zur Sterbehilfe

Gemeinsame Veranstaltung des Juristenrats und des Rats für Gesundheit und Medizinethik im Bistum Essen legt wissenschaftliche Grundlagen für die Diskussion eines komplizierten Themas. Weitere Veranstaltung am 19. November

Wissenschaftliche Grundlagen für die Diskussion eines komplizierten Themas

Mit einer wissenschaftlich breit aufgestellten Runde in der Mülheimer Akademie „Die Wolfsburg“ ist das Bistum Essen in die öffentliche Debatte über eine gesetzliche Neuregelung der Sterbehilfe eingetreten. „Die Diskussion hat sich verselbstständig“, beschrieb der BGH-Richter und Bochumer Professor Andreas Jurgeleit zu Beginn der Veranstaltung die aktuelle Situation. Sei es beim gescheiterten Gesetzentwurf der früheren Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) 2012 noch primär um ein Verbot der organisierten, gewerblichen Sterbehilfe gegangenen, „dreht sich die Diskussion mittlerweile auch um den assistierten Suizid und sogar um eine mögliche Tötung auf Verlangen“. Gleichzeitig gebe es in der Öffentlichkeit eine erhebliche Unsicherheit darüber, wie die rechtliche Situation ist. In diesem juristisch, medizinisch und ethisch komplizierten Umfeld wollen die Wolfsburg der Juristenrat und der Rat für Gesundheit und Medizinethik im Bistum Essen aufklären und zugleich einen Beitrag zur politischen Debatte leisten, machte Alexander Mauer, Sprecher des Juristenrats deutlich.

Die Frage der „Patientenautonomie am Ende des Lebens“ – so der Titel der  Veranstaltung – sei „wahrscheinlich das gesellschaftliche Thema dieses und wohl auch des kommenden Jahres“, erwartet Mauer. Entsprechend stark engagiert sich das Bistum Essen: Nach der Veranstaltung am Donnerstag wird es am 19. November einen zweiten Abend geben, an dem auch Politiker teilnehmen werden, bevor Mitglieder der beiden Räte im Frühjahr zusammen mit Ruhrbischof Dr. Franz-Josef Overbeck in Berlin das Thema mit Bundestagsabgeordneten diskutieren werden, kündigte Mauer an. Im Herbst kommenden Jahres, so die aktuellen Erwartungen, dürfte das Thema im Bundestag zur Entscheidung anstehen.

Keine Unterscheidung zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe

Jurgeleit und die beiden anderen Referenten, der Direktor des Essener Geriatrie-Zentrums Haus Berge, Professor Hans Georg Nehen, und die renommierte Baseler Medizin-Ethikerin Professorin Stella Reiter-Theil, warben gemeinsam für eine aktuelle Terminologie: Seit dem Gesetz zur Patientenverfügung von 2009 gehe es nicht mehr um passive oder aktive Sterbehilfe. Vielmehr unterscheidet man heute eher zwischen einem tödlichen Krankheitsverlauf, der schneller zum Ende führt, weil therapeutische Maßnahmen unterbleiben, einem assistierten Suizid (meist die Bereitstellung eines tödlichen Medikaments) und dem Töten auf Verlangen (zum Beispiel das Anreichen eines solchen Mittels bei Patienten, die es sich nicht selbst nehmen können). „Wenn aufgrund eines Patienten-Willens ein Krankheitsverlauf ohne Behandlung laufen gelassen wird, ist das heute erlaubte Sterbehilfe“, so Jurgeleit. Auch Beihilfe zum Selbstmord sei nicht strafbar, erläuterte der Jurist, allerdings sei Ärzten in Deutschland dies in der Regel von ihrem Standesrecht her verboten. Ein Töten auf Verlangen hält Jurgeleit indes mit dem Grundgesetz nicht für vereinbar. Anders als oft behauptet gehe es dabei nicht um ein Abwägen zwischen dem Grundrecht auf Leben und dem auf Selbstbestimmung, „das wäre ja Beihilfe zum Suizid, die ist erlaubt.“ Jemanden zu töten, der dies selbst nicht tun könne, berühre indes „eher so etwas wie ein Recht auf Rundum-Versorgung“, so Jurgeleit – und das sehe die Verfassung nicht vor.

Kritische Anmerkungen zur „Patientenautonomie“

Kritisch ging der Mediziner Nehen mit dem Begriff der Patientenautonomie um. „Das ganze Leben lang besteht ein Konflikt zwischen Autonomie und Abhängigkeit.“ Zudem setze „eine autonome Entscheidung die nötigen Kenntnisse voraus“. Eine Patientenverfügung etwa soll „Grundlage sein für eine medizinische Behandlung, von denen ein Laie kaum etwas versteht“. Gleichzeitig werde sie festgelegt für eine Lebenssituation in ferner Zukunft, „die nicht vorausgelebt werden kann“. Gerade in der Geriatrie hätten Patientenverfügungen heute ihren festen Platz, allerdings müssten sie immer mit Bevollmächtigten oder Angehörigen interpretiert werden. So sieht auch Jurist Jurgeleit die Rechtslage: „Es gibt keinen Automatismus, der aus einer Patientenverfügung folgt“. Wenn sich etwa ein Bevollmächtigter und ein Arzt über den Patientenwillen nicht einig sind, entscheidet im Zweifel ein Gericht.

Mit Blick auf die Sterbehilfe-Diskussion betonte Nehen, dass der Patientenwille gerade bei ausweglosen Krankheiten oft deutlich von dem vorab geäußerten Wunsch nach Sterbehilfe abweicht. So würden viele Menschen als gesunde Menschen anordnen, dass bei ihnen im Falle einer Demenz keine lebensverlängernden Behandlungen vorgenommen würden – „dabei sind gut versorgte Demenz-Patienten in der Regel glückliche Menschen“, betont der Geriatrie-Experte und verweist auf den 2013 verstorbenen Schriftsteller Walter Jens, der sich laut seines Sohnes als Demenz-Patient „ein Weiterleben im Kreis der Familie gewünscht hat“.

Ethikerin rät zu großer Vorsicht bei Regelungen zur Sterbehilfe

Die Medizin-Ethikerin Reither-Theil hat sich intensiv mit der Sterbehilfe-Praxis in verschiedenen Ländern beschäftigt. Sie schloss ihre Ausführungen mit einem dreifachen „Vorsicht!“. So sei „Vorsicht geboten, wenn ein Mensch sterben möchte – er könnte sich über die Ausweglosigkeit seiner Situation täuschen“. Wichtig sei, bei jeder Form von Sterbehilfe ein festes Beratungsprogramm zu verankern. Gut gelungen sei dies aus ihrer Sicht im US-Bundesstaat Oregon. Dort habe die Zulassung der Beihilfe zum Suizid durch Ärzte paradoxerweise zu einem deutlichen Aufschwung der Palliativmedizin geführt; jeder Sterbewillige müsse dort vor einem assistierten Suizid intensiv auf Möglichkeiten der Linderung auf dem letzten Lebensweg hingewiesen werden. In der Schweiz, wo die Unterstützung beim Suizid in der Regel nicht in der Hand von Ärzten, sondern von Vereinen liege, sei diese Beratung deutlich weniger organisiert, so Reiter-Theil. Zudem warnte die Professorin im Umfeld einer Sterbebegleitung vor Interessen Dritter und einem möglichen Missbrauch zu liberaler Sterbehilfe-Regeln – und nicht zuletzt vor dem gesellschaftlichen Druck auf todkranke Menschen, von den Möglichkeiten, sich bei einem Suizid unterstützen zu lassen, angesichts ihrer Hilfsbedürftigkeit auch Gebrauch zu machen. „Man wird den Wunsch nach einem assistierten Suizid in einer Gesellschaft kaum komplett ausräumen können“, sagte Reiter-Theil, „aber wenn man ihn erlaubt, sollte das System auf jeden Fall staatlich kontrolliert sein“. (tr)

Bei der zweiten Veranstaltung der Reihe am Mittwoch, 19. November, werden ab 18 Uhr wieder Professor Jurgeleit und Professor Nehen zu Gast sein, anschließend diskutieren Ruhrbischof Dr. Franz-Josef Overbeck, der Moral-Theologe Professor Eberhard Schockenhof, der Palliativmediziner Professor Christof Müller-Busch und die Politiker Volker Beck (Grüne) und Kerstin Griese (SPD). Infos und Anmeldung gibt es hier oder telefonisch unter: (0208) 999 19 – 103.

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