„Der Lackmustest für eine funktionierende Gesellschaft“

Wie viel religöse Toleranz verträgt eine pluralistische Gesellschaft? Über diese und weitere Fragen diskutierte Bischof Dr. Franz-Josef Overbeck mit dem jüdischen Publizisten Günther B. Ginzel und Aiman A. Mazyek, Vorsitzender des Zentralrates der Muslime.


Podiumsdiskussion zum Verhältnis von Toleranz und Religion

„Toleranz zeigt sich in der Anerkennung des Anderen und seiner Andersartigkeit“, betonte Bischof Dr. Franz-Josef Overbeck auf einer Podiumsdiskussion in der Katholischen Akademie „Die Wolfsburg“ in Mülheim. Gemeinsam mit dem jüdischen Publizisten Günther B. Ginzel und Aiman A. Mazyek, Vorsitzender des Zentralrates der Muslime in Deutschland, diskutierte Overbeck zum Thema „Wie viel Verschiedenheit verträgt die moderne Gesellschaft?“. Toleranz zeige sich in dem Zusammenspiel aus einem selbstbewussten Bekenntnis zur eigenen Wahrheit und dem Respekt gegenüber der Wahrheit anderer, erklärte der Ruhrbischof auf einer Veranstaltung der Reihe „Dialoge mit dem Bischof“. „Wir haben ein unterschiedliches Verständnis davon, wie Gott sich uns offenbart. Das ist kein Zufall“, so Overbeck. Doch sei es wichtig, auf Basis des eigenen Glaubens die Standpunkte anderer Religionen zu verstehen und respektieren zu lernen. Die Akzeptanz des Anderen und seiner Vorstellungen dürfe jedoch nicht mit dem impliziten Wunsch verbunden sein, die eigenen Werte zu denen des andern machen zu wollen, führte Ginzel aus. „Toleranz ist der Lackmustest für eine funktionierende Gesellschaft“, betonte Mazyek. Denn überall dort, wo Angst, Furcht und mangelndes Selbstbewusstsein vorherrschten, stieße die Toleranz in der Gesellschaft an ihre Grenzen.

Keine politische Instrumentalisierung der Religion

Mit Blick auf die aktuelle Diskussion über die öffentliche Koran-Verteilung in Deutschland forderte Mazyek zu mehr Trennschärfe zwischen der Religion und ihrer politischen Instrumentalisierung auf. So bewege sich die Verteilung grundlegend im Rahmen der Religions- und Meinungsfreiheit. Jedoch sei kritisch zu hinterfragen, mit welcher politischen Absicht dies geschehe. „Das Privileg der Religionsfreiheit in unserer Gesellschaft darf nicht politisch instrumentalisiert werden“, fügte Overbeck hinzu. Mit dieser negativen Konotation des eigenen missionarischen Handelns sehe sich jede Religionsgemeinschaft konfrontiert, so Ginzel. „Es ist eine Herausforderung für uns alle, dieses Handeln positiv in die Gesellschaft zu tragen“, fügte der Publizist hinzu. Auch wenn im öffentlichen Diskurs oft die negativen Beispiele dieses Handelns thematisiert würden, gäbe es zahlreiche Initiativen, die auf einem guten Weg seien.

Religion positiv besetzen

In einer zunehmend pluralistischen Gesellschaft fungierten Kirchen und Religionsgemeinschaften immer noch als „Wertetradanten“, machte der Ruhrbischof deutlich. Auch wenn Religionsgemeinschaften ihre Stellung als moralische Instanz zunehmend einbüßen würden, wie Ginzel deutlich machte, bestünde in der beständigen Weitergabe von Werten eine große Chance, den Begriff „Religion“ in der Gesellschaft positiv zu besetzen, ermutigte Overbeck. Hierzu ist es Ansicht von Ginzel wichtig, den fundamentalistischen Gruppen innerhalb der Religionsgemeinschaft etwas Positives entgegenzusetzen. Es werde aktuell deutlich, dass der Islam in der öffentlichen Wahrnehmung oft auf Randgruppen reduziert würde und er „derzeit als Projektionsfläche für den öffentlichen Diskurs über die Religion im Allgemeinen“ fungiere, ergänzte Mazyek.

Konsens über grundlegende Normen

Auch die Frage nach der Toleranz innerhalb von Kirchen und Religionsgemeinschaften kam zu Sprache. „Toleranz ist nichts, was einer Religion von Beginn an innewohnt. Gläubige Menschen sind nicht zwingend tolerant“, bekräftigte Ginzel. Intoleranz innerhalb einer Religion sei oft an Machtansprüchen einzelner gebunden, so der Publizist weiter. Mit Blick auf den aktuellen Diskurs über die Wiederaufnahme der sogenannten „Piusbrüder“ durch Papst Benedikt XVI., machte Overbeck klar deutlich, dass es für die Toleranz innerhalb einer Kirche einen Konsens über grundlegende Normen geben müsse. Dem Papst gehe es vor allem darum, ein Schisma zu verhindern. Overbeck betonte, dass eine Einigung die Anerkennung der Ergebnisse des 2. Vatikanischen Konzils zwingend voraussetze.

„Toleranz und Wahrheitsanspruch stehen in einem Spannungsfeld zueinander. Sie schließen sich nicht aus, sondern fordern einander heraus, sich anzunähern“, fasste Akademiedirektor Dr. Michael Schlagheck am Ende des Podiumsgespräches zusammen. Der Abend habe gezeigt, dass der Dialog zwischen den Religionen hohe Ansprüche stelle.

Fortgesetzt wird die Reihe "Dialoge mit dem Bischof", die Teil des Dialogprozesses "Zukunft auf katholisch" ist, am 31. Mai 2012. Zum Thema "Perspektiven kirchlicher Sexuallehre" wird Bischof Dr. Franz-Josef Overbeck mit Prof. Dr. Konrad Hilpert, Vorsitzender der AG der deutschen Moraltheologen, Dr. Elmar Struck, Psychoanalytiker, Leiter der Ehe-, Familien und Lebensberatungsstelle Bonn, und Prof. Dr. Hertha Richter-Appelt, Sexualforscherin an der Universität Hamburg, ins Gespräch kommen. (ja)

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