Der Heilige Stuhl will Rechtssicherheit

Neue Bestimmungen zur Ahndung von Missbrauchsfällen in kirchlichen Verfahren hat der Heilige Stuhl in dem Dokument "Normae de gravioribus delictis" (Normen über schwerwiegende Straftaten) erlassen.

Neue Bestimmungen zur Ahndung von Missbrauchsfällen

Schneller, strenger, klarer: Mit den neuen Bestimmungen zur Ahndung von Missbrauchsfällen in kirchlichen Verfahren will der Vatikan verlorenes Vertrauen in seine Entschlussfestigkeit zurückgewinnen. Nicht zufällig wurden die "Normae de gravioribus delictis" (Normen über schwerwiegende Straftaten) noch vor der kurialen Sommerpause veröffentlicht. Auch wenn sie nichts Grundstürzendes bringen: Es soll deutlich werden, dass das Vorgehen gegen Pädophilie aus Sicht des Heiligen Stuhls keinen Aufschub verträgt.

Wie sehr dem Vatikan an klaren Verhältnissen gelegen ist, zeigt auch die ungewöhnliche Offenheit, mit der die kurialen Dienststellen die Publikation begleiteten. Das Gesetzeswerk erschien in mehreren Sprachen im Internet, die Glaubenskongregation sorgte für gründliche Erläuterungen - eine Kehrtwende gegenüber den Vorgängerdokumenten von 2001, die erheblich zeitverzögert, teils unvollständig und nur auf Latein an die Öffentlichkeit kamen.

Schon die Präsentation des Textes antwortet erkennbar auf die Geheimhaltungs- und Vertuschungsvorwürfe, die der Kirchenleitung in den vergangenen Monaten schwer zusetzten. An sich geht es in dem 14-seitigen Papier wie schon in den Dokumenten von 2001 keineswegs nur um Missbrauch: Unter die "schwerwiegenden Straftaten" fallen auch etwa die Verletzung des Beichtgeheimnisses, Konzelebration mit Nichtkatholiken oder die versuchte Priesterweihe von Frauen. Das Schwergewicht liegt aber auf der Verfolgung sexueller Vergehen.

Hier werden einige neue Akzente gesetzt: Damit ein schuldiger Priester aus dem Klerikerstand entlassen wird, kann die Glaubenskongregation statt eines langwierigen Prozesses den Verwaltungsweg einschlagen. Bestimmte Fälle können direkt dem Papst vorgelegt werden. Die Verjährungsfrist für Sexualdelikte wird allgemein von 10 auf 20 Jahre angehoben - unbenommen bleibt nach wie vor die Möglichkeit, diese Frist gänzlich aufzuheben. Zu den inhaltlichen Neuerungen gehört ferner, dass Erwerb, Aufbewahrung und Verbreitung von kinderpornographischem Material "in jedweder Form und mit jedwedem Mittel durch einen Kleriker in übler Absicht" explizit in die Liste der schwerwiegenden Straftaten aufgenommen wurde.

Eine allgemeine Anzeigepflicht gegenüber staatlichen Stellen, über die im Vorfeld spekuliert worden war, sehen die Richtlinien hingegen nicht vor. Diese Frage falle in die Zuständigkeit der nationalen Gesetzgebung, erläuterte Vatikansprecher Federico Lombardi. Die Kirchenleitung folgt damit der bisherigen Praxis, zwischen dem binnenkirchlichen Recht und der Verantwortung der einzelnen Gläubigen als Bürger sauber zu trennen. Betont wurde bei der Vorstellung des Textes jedenfalls der Wille der kirchlichen Institutionen, mit staatlichen Behörden zusammenzuarbeiten.

Formal schaffen die neuen Normen mehr Rechtssicherheit in einem Feld, auf dem bislang Einzelerlasse und Sondervollmachten galten. Das ist für Experten auch ein wichtiger Schritt in Richtung zu einem insgesamt konsistenteren katholischen Rechtssystem. Weltliche Juristen wiesen in der Vergangenheit gern auf Lücken und Schwammigkeiten im "Codex Iuris Canonici" hin, die keineswegs mit modernen rechtstheoretischen Ansprüchen vereinbar seien. Im Blick auf den Umgang mit Sexualdelikten in der Kirche signalisiert das neue Dokument die Abkehr von einem Ausnahmezustand, in dem die Kirchenrichter bislang agieren mussten. Ebenso spiegelt es den Willen wider, jenen Ausnahmezustand zu beenden, in dem sich die Kirche seit dem Aufbrechen des Pädophilieskandals befindet. (KNA)

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