„Das ist der Unterschied"

"Wem gehört mein Leben?“ lautete der Titel des 29. Juristentages im Bistum Essen. Am Samstag, 8. Oktober, trafen sich Experten in Essen-Werden, um diese und weitere Fragen zu diskutieren.

Von Organspende und der Grenze zwischen sterben lassen und den Tod herbeiführen

 "Wem gehört mein Leben?“ So war jetzt der 29. Juristentag im Bistum Essen überschrieben. Das ist eine Veranstaltung, die sich immer wieder neu herausgefordert sieht, Zuhörern und Teilnehmern „rechtliche und geistliche Orientierung“ zu geben – und in diesem Jahr bei zwei brennend aktuellen „Grenzfragen des Lebens“: erstens der Bereitschaft, wenn nicht gar der Notwendigkeit zur „Organspende“ – oder dem Widerspruch dazu; und zweitens den Möglichkeiten und Grenzen der „Sterbehilfe“. Ethisch und rechtlich damit verbundene Fragen bewegen sich durchaus in einem Spannungsfeld. Rechtsanwältin Clara Hannich, Sprecherin des Juristenrates, machte gleich zu Beginn des Tages darauf aufmerksam. Denn Ethik fragt, was der Mensch tun darf, das Recht aber regelt, was der Staat verbietet.

Nun verbietet der Staat es niemandem, sich nach seinem Tod als Organspender zur Verfügung zu stellen. So wenig wie er es untersagt, seine Organe auf gar keinen Fall zu spenden. Der Staat möchte  Rechtssicherheit bei Organspenden herstellen und Missbrauch ausschließen. Und das war beim Juristentag Thema des Vortrags von Professor Dr. iur. Hans Lilie, Lehrstuhlinhaber für Strafrecht, Strafprozessrecht, Rechtsvergleichung und Medizinrecht an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und u. a. auch Vorsitzender der Ständigen Kommission Organtransplantation der Bundesärztekammer.


Der Tod auf der Warteliste ist eine tragische Realität


„Es geht“, sagte Prof. Lilie, „bei Organspenden in erster Linie darum, schwerkranken Menschen, die auf ein Spenderorgan angewiesen sind und sehnsüchtig darauf warten, zu helfen.“ Und das sind viele. Rund 12.000 Menschen allein in Deutschland. Doch nur etwa 4000 Organe werden jedes Jahr gespendet. Jeden Tag sterben drei Menschen, die auf Niere, Leber, Lunge oder Herz eines anderen warten. Der Tod auf der Warteliste ist eine tragische Realität.

Muss das so sein oder bleiben? Umfragen belegen, dass weit über 80 Prozent der Deutschen grundsätzlich bereit wären, nach ihrem Tod ihre Organe zu spenden. Aber nur 15 von einer Million Einwohnern tragen auch einen Spenderausweis bei sich. Noch dramatischer wird diese Zahl dadurch, so Prof. Lilie, dass selbst diese potenziellen Organspender, sollte bei ihnen im Krankenhaus der Hirntod festgestellt worden sein, aus welchen Gründen auch immer oft nicht zur Transplantation angemeldet werden.

In Deutschland (und Europa) kann sich niemand ein Organ kaufen. Das schloss Prof. Lilie kategorisch aus. Wer ein Spenderorgan erhält, wird anonym ausgewählt; und zwar über die Stiftung „Eurotransplant“, eine gemeinnützige Organisation. Sie vermittelt und koordiniert den internationalen Austausch von gespendeten Organen in einem Einzugsgebiet mit 124 Millionen Menschen in Belgien, Deutschland, Kroatien, Luxemburg, den Niederlanden, Österreich und Slowenien. Der Status des Empfängers spielt keine Rolle, was zählt sind die Verträglichkeit der Organe und dann die schwierigen Kriterien „Erfolgsaussicht“ und „Dringlichkeit“.

Wie herausfordernd  es ist, hier richtige Entscheidungen zu treffen, auch das erläuterte Prof. Lilie: Je gesunder der kranke Patient ist, was die Dringlichkeit einer sofortigen  Transplantation herabstuft, desto größer sind die Erfolgsaussichten der Operation. Andererseits gilt: Je kränker und damit dringlicher die Transplantation ist, desto geringer sind die Erfolgsaussichten…

Prof. Lilie klärte auf, vor allem auch mit vielen Ängsten rund um das Kriterium „Hirntod“. „Wir verbinden den Tod eines Menschen mit dem Bild eines Verstorbenen mit gefalteten Händen im Sarg, und ganz sicher nicht mit dem Bild eines Menschen auf der Intensivstation, der noch schwitzt und dessen Herz noch schlägt.“ Die Diagnose „Hirntod“ aber sei höchst rational. Sie „bezeichnet den endgültigen Ausfall des Gehirns, den unwiederbringlichen Verlust jeder Wahrnehmung, des Denkens, der Steuerung der Atmung und der zentralen Steuerungsfähigkeit für die gesamten Körperfunktionen“.


Wege finden, dass jeder die Chance hat, sich zu äußern


Rechtssicherheit bei der Organspende, für Prof. Lilie ist das die Grundlage für eine Entscheidung, die jeder für sich selbst treffen muss. Von „individueller Selbstbestimmung“ spricht er: Spende ich meine Organe oder spende ich sie nicht. Der Staat sei herausgefordert, „einen Weg zu finden, dass jeder die Chance hat, sich zu äußern“. Ob sich dabei der „Status quo“ mit dem Ausfüllen eines Spenderausweises und dem damit verbundenen „Ja“ zur Organspende oder die politisch angedachte „Widerspruchslösung“, also das erklärte „Nein“ zur Organspende, sich durchsetzen wird, die Diskussionen in diesen Wochen werden es zeigen.

Um „Selbstbestimmung und Fürsorge“ ging es auch beim zweiten Themenschwerpunkt des Juristentages, der Auseinandersetzung mit „Sterbehilfe“ und damit mit ethischen und rechtlichen Fragen am Ende des Lebens. Prof. Dr. theol. Eberhard Schockenhoff, Lehrstuhlinhaber für Moraltheologie an der Albert-Ludwig-Universität Freiburg und stellvertretender Vorsitzender im Deutschen Ethikrat, warb dabei für eine „neue Terminologie“. Davon ausgehend, dass es ein ganz wichtiges Ziel sei, dass „Sterbende ihre letzte Lebensphase annehmen und sich versöhnt damit auseinandersetzen“, und zwar in dem Bewusstsein, dass „der Tod nicht das Ende des Lebens, sondern Sterben ein Teil des Lebens“ sei, warb er für eine klare Unterscheidung. Der Begriff der „Sterbehilfe“ sei grundsätzlich positiv besetzt. Damit werde in der Folge kaum noch unterschieden etwa zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe, was aber ethisch und rechtlich eminent wichtig sei.

Was ist ethisch und rechtlich vertretbar oder sogar geboten am Ende des Lebens? Prof. Schockenhoff nannte die „leidmindernde Medizin“. Sie dürfe auch so weit gehen, dass (eine geringe Anzahl von) Patienten, deren Schmerzen nicht beherrschbar seien, sediert werden dürften. Der Moraltheologe nannte ein markantes Beispiel: So wurde der Berliner Kardinal und Erzbischof Sterzinsky in den letzten Wochen seines Lebens in ein künstliches Koma versetzt; anders waren die Schmerzen nicht zu bekämpfen.
Auch das „sterben lassen“ ist für den Moraltheologen kein ethisches Problem. Der „Verzicht auf Heilung“, sagte er, ist mitunter sogar moralisch geboten.“ Und zwar dann, wenn die medizinische Betreuung in keinem Verhältnis zum Nutzen steht, der erwartet werden kann. Eine Grenze der Unverhältnismäßigkeit sei zum Beispiel erreicht, wenn der Patient durch die Behandlung übermäßige Schmerzen erleiden müsste.

„Sterben lassen“, auch dafür nannte Prof. Schockenhoff ein nachdenklich stimmendes Beispiel. Darf künstliche Beatmung, die einen Patienten am Leben hält, abgestellt werden? Unter bestimmten Voraussetzungen „ja“, sagt der Moraltheologe. Künstliche Beatmung möchte Zeit gewinnen, um eine Therapie durchzuführen, die heilt. Zeige sich dann aber, dass diese Therapie nicht funktioniere und sei es sicher, dass der Patient nicht geheilt werden könne, sei das Einstellen der Sauerstoffzufuhr moralisch gerechtfertigt. „Todesgrund ist dann nicht das Ende der künstlichen Beatmung, sondern die ursprüngliche Krankheit.“


Den Tod zulassen oder den Tod herbeiführen


Ethisch und moralisch nicht zu rechtfertigen ist für Prof. Schockenhoff ein drittes Handeln unter dem Begriff der Sterbehilfe: Tötung auf Verlangen. Er zeigte sich dankbar, dass der Deutsche Ärztetag sich kürzlich genau in diese Richtung geäußert und für ein Verbot der Sterbehilfe ausgesprochen hatte. „Tötung auf Verlangen bedeutet, dass der Arzt (oder wer auch immer) den Tod des Patienten als geringeres Übel ansieht.“ Das ist für den Moraltheologen der entscheidende Unterschied. Leidmindernde Medizin, sterben lassen, sie lassen den Tod zu, Tötung auf Verlangen aber führt ihn herbei. (ule)

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